Probeseiten aus dem Tonsatzbuch

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Die zweistimmigen Inventionen

1. Formtypen

2. Tonumfang

3. Instrumentale Figuration

4. Zusammenklang-Intervalle

Invention bei Johann Sebastian Bach

Inventio [lat.] = Erfindung, Einfall, Erfindungskraft. J. S. Bach komponierte für seinen neunjährigen Sohn Wilhelm Friedemann einige Übungsstücke, die er im Jahre 1723 in Reinschrift als Inventionen (zweistimmig) und Sinfonien (dreistimmig) zu einem Zyklus von jeweils 15 Stücken für ein Tasteninstrument (Klavichord oder Cembalo) zusammenfasste. Die Inventionen und Sinfonien sind chromatisch aufsteigend nach den damals üblichen Tonarten geordnet. Wegen der erweiterten mitteltönigen Stimmung ("wohltemperiert") wurden die folgenden gut klingenden Tonarten verwendet: C, c, D, d, Es, E, e, F, f, G, g, A, a, B und h.

"Auffrichtige Anleitung, Wormit denen Liebhabern des Clavires, besonders aber denen Lehrbegierigen, eine deutliche Art gezeiget wird, nicht alleine mit 2 Stimmen reine spielen zu lernen, sondern auch bey weiteren progreßen auch mit dreyen obligaten Partien richtig und wohl zu verfahren, anbey auch zugleich gute inventiones nicht alleine zu bekommen, sondern auch selbige wohl durchzuführen, am allermeisten aber eine cantable Art im Spielen zu erlangen, und darneben einen starcken Vorschmack von der Composition zu überkommen." [Vorwort Bachs]

Mit diesem Vorwort erklärte Bach die Inventionen zu Mustern für die Erfindung und Ausarbeitung von Themen. Die Inventionen haben keine bestimmte Form, sie sind eine Anleitung für den Komponiervorgang. Die Inventionslehre beruht auf der Kunst der Kombinatorik und Veränderung. Fast alle Inventionen Bachs sind kontrapunktisch strukturiert.

Die zweistimmigen Inventionen

Bach wollte jede Invention in seinem Heft auf zwei gegenüber liegenden Seiten unterbringen. Dadurch ist die Länge der einzelnen Inventionen festgelegt.

Die neun Inventionen im 4/4-Takt sind 20 bis 32 Takte lang (Nr. 12 steht im triolischen 4/4-Takt = 12/8-Takt). Die drei Inventionen im 3/4-Takt (davon Nr. 10 im 9/8-Takt) erstrecken sich auf 32 bis 34 Takte. Die drei Inventionen im 3/8-Takt sind zwischen 52 und 62 Takte lang.

1. Formtypen

1. Kanon in der Oktave: Invention Nr. 2 in c und Nr. 8 in F (mit wiederholtem Neuansatz)
2. Oktavimitation zu Beginn: Nr. 1 in C, Nr. 3 in D, Nr. 4 in d, Nr. 7 in e, Nr. 9 in f, Nr. 11 in g, Nr. 13 in a
 
3. Fugenstruktur (Oberquint- bzw. hier Unterquart-Imitation, da die Unterstimme antwortet): Nr. 5 in Es, Nr. 10 in G, Nr. 12 in A, Nr. 15 in h (=> Kapitel "Fuge")
 
4. Sonatensatz: Invention Nr. 6 in E mit folgenden Formteilen: 1. Teil Exposition (20 Takte): mit Thema und Kontrathema in E-Dur. Nach 8 Takten Modulation mit Quintfallsequenz zur Oberquinttonart H-Dur, aber noch kein 2. Thema :||: 2. Teil (42 Takte): Durchführung (22 Takte) in H-Dur und gis-Moll mit Quintfallsequenz – Reprise in E-Dur (20 Takte) mit vertauschten Themen. Nach 8 Takten Quintfallsequenz eine Quinte tiefer angesetzt als in der Exposition, also in E-Dur :||
Beide Großteile sind zu wiederholen, wie im klassischen Sonatensatz.
5. Arie mit Begleitung: Nr. 14 in B
Den kontrapunktischen Typus der Invention verwendete Bach in vielen Kompositionen. Es folgen einige Sammelwerke mit Beispielen für zweistimmige Inventionen:

Vier Duette für ein Tasteninstrument (BWV 802 – 805), Das Wohltemperierte Klavier Bd. I (Präludium Nr. 17 in As-Dur: zweistimmige Invention, akkordisch aufgefüllt), Das Wohltemperierte Klavier Bd. II (Präludium Nr. 6 in d-Moll). Dem Sonatensatztyp (Formtypus Nr. 4) entsprechen folgende Präludien im WK II: Nr. 2 in c, Nr. 8 in dis, Nr. 10 in e, Nr. 20 in a; in diesen vier Präludien moduliert der erste Teil zur Oberquinte bzw. zur Paralleltonart.

2. Tonumfang

J. S. Bach komponierte als Unterrichtswerke und Studienobjekte für Klavichord/Cembalo Inventionen, Sinfonien, Wohltemperiertes Klavier, Französische Suiten, Vier Duette, Kunst der Fuge. Dafür gebrauchte er den Tonumfang, der auf den damaligen Klavichorden spielbar war: C – c'''. Sehr selten "vergaß" er dabei den möglichen Umfang, da er ein Cembalo mit dem Tonumfang G1 – d''' besaß1. Der normale Tonumfang wird überschritten in der Sinfonia Nr. 6 in E: Basston H1 in Takt 40; im Wohltemperierten Klavier II, Fuge Nr. 20 in a: Schlusston A1; Präludium Nr. 23 in H: Schlusston H1; Fuge Nr. 24 in h: Schlusston H1; in der Kunst der Fuge: Canon per Augmentationem: Basston H1 in Takt 20 => Orgel-Fantasie in G: im Pedal H1 (sic!).

3. Instrumentale Figuration

Als Vorübung zur kontrapunktischen Setzweise sollten Generalbass-Bezifferungen und Choralmelodien vierstimmig harmonisiert werden gemäß der Empfehlung des Bachschülers J. Ph. Kirnberger (Die Kunst des reinen Satzes, 1771): "Zum wahren Besten der Anfänger in dem Satz können wir hier nicht unerinnert lassen, daß eine sehr fleißige Übung in Chorälen, eine höchst nützliche und so gar unentbehrliche Sache sey."

NB 1: instrumentale Figuration

1 vgl. Klaus Wolters, Das Klavier. Bern und Stuttgart 21971. [Seite 9 muss es statt "es-moll-Fuge" dis-moll heißen]

2 Auch C. Ph. E. Bach empfahl in der Vorrede zu der Neuausgabe der Choräle seines Vaters (1765) den Lehrbegierigen "statt der steifen und pedantischen Contrapuncte den Anfang mit Chorälen" zu machen, um in der musikalischen Setzkunst voran zu kommen. Obwohl J. S. Bach die etwas pedantische Kontrapunktlehre Gradus ad Parnassum (Stufen zum Parnass, dem Musenberg) von Johann Joseph Fux (1725) besaß, dürfte er seine Söhne in der von C. Ph. E. Bach empfohlenen Weise in der Tonsatz-Kunst unterrichtet haben.

Grundlage des Bach'schen Kontrapunkts ist die Harmonik. Über dem Fundament der Harmonien im ersten System des NB 1 (mit Akkordbuchstaben bezeichnet) werden einzelne Akkordtöne durch typische instrumentale Figuren belebt. Aus den verschieden figurierten Tönen des harmonischen Hintergrunds wird ein Thema entwickelt, wie z. B. im letzten System des NB 1.

Eine spezielle Figur ist der Quartenzug3: Er entsteht durch Vorschalten von drei Skalentönen vor einem Akkordton (von oben oder von unten her). Der erste Ton eines Quartenzugs ist ein unbetontes Sechzehntel oder Achtel, das konsonant oder dissonant sein kann: Im folgenden NB 2 (Takt 2) dissoniert das frei einspringende d' über dem F-Dur-Akkord, das d'' über dem C-Dur-Akkord.

NB 2: Figuration mit Quartenzügen

NB 3: Typische Quartenzüge mit zwei Stimmen

Der 1. Takt wird durch Quartenzüge in die Figuren des 2. Taktes verwandelt. Im 3. Takt wechseln sich die Stimmen ab und laufen am Ende des 4. Takt gegeneinander. Im zweiten und im letzten Takt entsteht der Quartenzug in der Oberstimme durch den dissonierenden Wechselton und den betonten Durchgang.

4. Zusammenklang-Intervalle

konsonierende Intervalle: Prime (Oktave), Terz, Quinte, Sexte
dissonierende Intervalle: Sekunde (None), Quarte, Septime

Die Auszählung der Intervallhäufigkeit ergibt in den ersten 14 Takten der ersten Invention folgendes Ergebnis: konsonante Intervalle: 137 – dissonante Intervalle: 42. Dabei muss unterschieden werden zwischen Intervallen auf betontem bzw. auf unbetontem Sechzehntel.

3 Diesen Begriff verwendet Hubert Meister im Kapitel Der instrumentale Kontrapunkt im 18. Jahrhundert in: Der musikalische Satz [Hg. W. Salmen und N. Schneider], Innsbruck 1987, Verlag Helbling.

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